Gottlob Frege, Ludwig Wittgenstein und ((4×3)+12) Versuche über die logische Struktur der Welt
Öffnungszeiten Mi-Fr 14 – 18 h und auf Anfrage
Mit Arbeiten von
Josef Dabernig, Martin Ebner, Andreas Fogarasi, Bernhard Frue, Kathi Hofer, Roland Kollnitz, Ingo Nussbaumer, Wendelin Pressl & Markus Hofer, Anja Ronacher, Simon Wachsmuth, Anita Witek, Otto Zitko und Heimo Zobernig.
Zusammengestellt von Gregor Schmoll
Der Titel der Ausstellung – dem Brief Gottlob Freges an Ludwig Wittgenstein vom 3. April 1920 entnommen – thematisiert, ausgehend vom 100-jährigen Jubiläum der Logisch-philosophischen Abhandlung und angelehnt an die briefliche Auseinandersetzung dieser beiden Philosophen, das Verhältnis von Wahrnehmung, Zeichen und Sprache, Form und Wirklichkeit. Sie vereint dreizehn herausragende Arbeiten aus den Genres Film, Video, Skulptur, Zeichnung, Fotographie, Malerei, Graphik von österreichischen Künstlerinnen und Künstlern der jungen und jüngeren Generation, die sich konzeptionell innerhalb der Tradition dieser analytischen Fragestellungen verorten lassen. Die Frage nach der Abbildbarkeit der Wirklichkeit, nach Sinn und Bedeutung des Gezeigten und den daraus resultierenden Folgen bzw. Widersprüchen stehen im Fokus der Ausstellung, wobei nicht versucht wird, eine Antwort zu finden, sondern vielmehr der Blick auf die Vielschichtigkeit der Fragestellungen gerichtet bleibt. Vielleicht kann gesagt werden, dass allen ausgestellten Arbeiten die Frage nach einer logischen Struktur des Abbildens und damit der Welt kritisch und auch ein wenig ironisch eingeschrieben ist.
Gottlob Frege (1848, Wismar – 1925, Bad Kleinen), einer der brillantesten Mathematiker und Logiker des ausgehenden 19. Jhdts, übte mit seinem Denken und seinen Schriften, vor allem den „Grundlagen der Arithmetik“ (1884), großen Einfluss auf den jungen Ludwig Wittgenstein (1889, Wien – 1951, Cambridge) aus. Besonders offensichtlich ist dies bei dessen „Logisch-philosophischen Abhandlung“, die 1918 fertig gestellt wurde. Wittgenstein studierte von 1906 bis 1908 Ingenieurswissenschaften an der Technischen Hochschule Charlottenburg in Berlin und vermutlich während dieser Zeit suchte er zum ersten Mal Frege in Jena auf, wo dieser Logik und Mathematik lehrte. Gedanklicher Ausgangspunkt der Ausstellung ist die briefliche Auseinandersetzung der beiden Philosophen über Form und Inhalt von Wittgensteins berühmter Abhandlung. Anlass ist deren Veröffentlichung vor 100 Jahren. Ziel ist es, an zentralen Wirkungs- und Lebensstätten dieser beiden Denker die ungebrochene Bedeutung und Relevanz ihrer aufgeworfenen Fragestellungen in Erinnerung zu rufen. Mit Stationen in Goldberg, Berlin, Jena und Hallein wird diese Ausstellung in historischer Analogie an Orten gezeigt, die gerade auch zur Entstehung der „Logisch-philosophischen Abhandlung“ einen besonderen Stellenwert einnehmen.
Künstlerinnen und Künstler:
Josef Dabernig (1956, AT) ist einer der konsequentesten post-konzeptionellen Künstler Österreichs. Seine Film- und Installationsarbeiten überführen alltäglich scheinende Handlungsmuster bzw. Ordnungssysteme in „Metaphern sozialen Handelns“ und entlarven damit die Willkürlichkeit hegemonialer gesellschaftlicher Strukturen. Sein Film Wisla, 1996, zeigt uns zwei Personen in einem leeren, desolaten Fußballstadion. Ihre Handlungen als Trainer und Co-Trainer einer Fußballmannschaft werden zu einer grotesk-ironischen Charakterstudie, dessen Bedeutung nur durch die eingespielte Tonspur von Originalaufnahmen zweier Serie-A-Fußballspiele „verständlich“ erscheint.
Martin Ebners (1965, AT) S/W-Videofilm Problem, 1995, kann als ironische Hommage an die frühe amerikanische Videokonzeptkunst, die sich sehr stark mit der Frage nach „Bedeutung“ von Körper und Raum auseinandergesetzt hat, gelesen werden. Ein Müllsack bewegt sich unkoordiniert in einem leeren Raum. Keine seiner Bewegungen scheint vorhersehbar, und doch gewährt ihm seine „Konstruktion“ nur einen begrenzten/programmierten Handlungsspielraum. Problem wird damit zu einer wunderbaren Allegorie für „Sprache“ selbst.
Andreas Fogarasi (1977, AT) nimmt den Schriftzug „NY“ in der typographischen Form, die Herb Lubalin in den 1970er Jahren entworfen hat, schneidet die Buchstaben aus, behält jedoch nur die richtungspfeilartigen Negativformen; auch Lubalin hat bereits den Schriftzug als Leerstelle bzw. -raum konzipiert. Diese Teile werden als Skulptur am Boden plaziert und scheinen – einem imaginären Stadtplan gleich – einzelne Häuserblocks darzustellen, die als Gesamtheit wiederum auch New York bedeuten könnten. NY, NY (after Herb Lubalin), 2008, verstrickt uns in ein Geflecht aus semantischen Relationen, das über die Person des Schriftdesigners Herb Lubalin, der die freie Verfügbarkeit von Schrift forderte, auch eine klare gesellschaftspolitische Positionierung beinhaltet.
Bernhard Frue (1968, AT) greift mit Gesäß, 2013, die ikonographische Arbeit „Metrocubo d’infinito“ von Michelangelo Pistoletto aus den 1960er Jahren auf und besetzt sie semantisch neu. Das „Unendliche“ wird nicht mehr als idealisierte Vorstellung angedeutet bzw. symbolisiert, sondern es zeigt sich konkret; die Idee ist abbildbar/anschaubar geworden, selbst wenn ihm in der „Wirklichkeit“ nichts entsprechen kann.
Kathi Hofers (1981, AT) Bouquet, 2011, zeigt uns die Grundlagen des Abbildens bzw. des Bildes und trägt so gesehen alle möglichen Bilder inhärent in sich. Nicht mehr das „Gezeigte“ ist der entscheidende Grundtopos und für die Auswahl eines Motivs relevant, sondern die Möglichkeiten der Bildwerdung werden selbst zur Form eines „klassischen“ Still-Lebens.
Man vermeint ihn zu hören und doch kann man ihn auch sehen. Er ist manifest vor mir: der Kleine Trommelwirbel, 2008, von Roland Kollnitz (1972, AT). Neun Aluminiumringe liegen ohne Sockel ineinander „verkettet“ am Boden. Als Skulptur ist der Trommelwirbel raumgreifend, wie der Klang. Seine Form spiegelt exakt die Form wieder, die man sich unter einem Trommelwirbel vorstellt, sie repräsentiert ihn also ein-eindeutig. Doch eine Vorstellung, die allen Menschen entspricht, kann folglich nicht subjektiv sein, gleichwie es unmöglich zu sein scheint, den Klang „einzufrieren“!? Immer schon war es ein Bestreben der Bildhauerei sich über die durch das Material bedingten Grenzen hinwegzusetzen und scheinbar „unausdrückbaren“ Eigenschaften wie „Leichtigkeit“, „Dynamik“, „Klang“, etc. Körper zu verleihen. Kollnitzs Kleiner Trommelwirbel ist dahingehend eine „klassische“ Skulptur und ein beeindruckendes Beispiel für dieses Paradox.
Die Aquarelle Ingo Nussbaumers (1956, AT) entziehen sich eines Abgleichs mit der Wirklichkeit, und doch möchte man sie als „richtig“ (oder „wahr“) bezeichnen. Sie scheinen also Relationen darzustellen, die eine „logische Struktur“ beinhalten, womit auch etwas über die Wirklichkeit ausgesagt werden würde. Schon der Titel der Serie deutet ironisch die Nähe zu sprachphilosophischen Überlegungen an: Kaspar Hausers Versuch die befohlene Tonlagezu torpedieren, 2013-2017, beinhaltet aber gleichzeitig auch das Scheitern (die Unmöglichkeit) des Benennens/Bezeichnens „abstrakter“ Eigenschaften.
Die Fotoserie Extraterrestrische Wunschvorstellungsgespräche, 2008, von Wendelin Pressl (1971, AT)und Markus Hofer (1977, AT) wird nicht in der Ausstellung selbst gezeigt werden, sondern bildet die „äußere Klammer“ des Themas. Die Serie „dokumentiert“ das Beobachten bzw. das Sehen, das Forschen, das Erkennen und versinnbildlicht beinahe „wörtlich“ das Paradox der wissenschaftlichen Welterkenntnis. Teleskop Nr. 2, Teleskop Nr. 3, Teleskop Nr. 4, Teleskop Nr. 5 aus dieser Serie werden für Plakate, Poster und Buchumschläge verwendet.
Anja Ronacher (1979, AT) untersucht „Semiophoren“, also Objekte, die über die Präsentation in einem Museum einem „Bedeutungswandel“ unterzogen werden. Die scheinbar abstrakten Skulpturen in der Fotographie Cube-shaped weights, Stone, Indus Valley, excavated at Chanhu daro, Marue Harappan period, 2600-1900 B.C., 2013, „bezeichnen“ ganz konkrete Einheiten: Gewichtseinheiten. Ihre „reine“ Form entspricht in einer direkten Relation einem funktionalen „Sinn“ und wird damit über ihren Gebrauch zu einem Zeichen und einer Einheit. (Auch Gottlob Frege wollte die Zahlen als Gegenstände behandeln.)
„Vom Zeigen des Zeigens“ oder „Zeigen als sozio-kulturell geprägte Handlungsanleitung“ könnte man Untitled, 2013-2017, von Simon Wachsmuth (1964, AT) als Überschrift voranstellen. Vier Fragmente von Bildtafeln (Reproduktionen von Kunstwerken) aus dem 19. Jhd. werden als Wandarbeit neu zusammengefügt und „bildlich“ ergänzt ohne den ursprünglichen Bildinhalt zu (re-)konstruieren. Wachsmuth führt uns eine Archäologie der Bildgebung vor.
„Der Teil des Teils ist Teil des Ganzen“, schreibt Gottlob Frege in seinem Brief vom 28. Juni 1919 an Ludwig Wittgenstein. Anita Witek (AT) scheint in ihrer Fotoserie Polaroids of places that have never existed, 1998, diesem und der allgemeinen Erwartungshaltung gegenüber der Fotographie, „Wirklichkeit“ abzubilden, explizit zu widersprechen. Sie collagiert Teile von Raumansichten aus Hochglanzmagazinen und kreiert dadurch wiederum neue Räume, die sie fotographisch „dokumentiert“. Die so erzeugten „Wirklichkeiten“ haben aber – wie schon im Titel ironisch aufgezeigt – keinerlei Entsprechungen. Sie bestehen aus Teilen von ganz unterschiedlichen Ganzen.
Die Zeichnungen o.T, 2008-2014, von Otto Zitko (1959, AT) nehmen einen besonderen Stellenwert innerhalb der Ausstellung ein, denn sie repräsentieren auf der einen Seite das „Gestische“, den „künstlerischen Ausdruck“ sowie eine Verweigerungshaltung gegenüber der Abbildungshierarchie, und auf der anderen Seite könnten sie doch sehr wohl auch die exakte Abbildung von etwas sein, wenn man den Betrachtungsstandpunkt ändert!? Lawrence Sterne z.B. bildet in seinem Roman Tristram Shandy (1759-1767) die Spur ab, die Tristrams Onkel mit seinem Stock in die Luft zeichnet. Auch Ludwig Wittgenstein nimmt sehr oft in seinen späteren Schriften auf diese scheinbar „sinnlose Kurve (dem Gekritzel)“ Bezug; und was, wenn Otto Zitko sich nun wiederum genau auf „dieses Gekritzel“ von Wittgenstein beziehen sollte!? Es wäre damit nicht mehr die „Vorstellung“ (das expressiv Gestische) von ihm, sondern diejenige von jenem und damit ein exaktes Abbild! Auch unser eindeutiges Erkennen und Bezeichnen des „Gekritzelten“ zeugt davon, daß hier vielmehr etwas dargestellt ist, denn nichts.
Das Schaffen Heimo Zobernigs (1958, AT) innerhalb der Kunst ist vielleicht vergleichbar mit dem Ludwig Wittgensteins in der Philosophie. Jedes seiner Werke – sei es eine Skulptur, eine Malerei, eine Installation, etc. – stellt die Frage nach seiner Funktion, seinem Gebrauch, seiner Struktur und seinem Gegeben-Sein. Es stellt aber gleichzeitig auch die Bedingungen seines „Wahrgenommen-Werdens“ dar. Reduziert auf ihre „Grundformen“ sind die Arbeiten das, was Wittgenstein „Elementarsätze“ nennen würde. Das rationale/relationale Gefüge ist dabei konstitutiv für das Verständnis der Werke – das Verständnis ist also eine Vorbedingung des „Erkennens“. So auch bei Ohne Titel (HZ 1993-071 b), 1993: wir nehmen die Wirklichkeit als gegeben an, haben aber bestenfalls einen „Begriff“ von ihr bzw. machen uns ein Bild von ihr, und dieses spiegelt/zeigt wiederum nicht die Wirklichkeit, sondern die Welt als Wahrgenommene. Ohne Titel (HZ 1993-071 b), REAL, ist damit das einzig „wahre“ Bild, das wir uns machen können.
Zur Ausstellung erscheint im Frühjahr 2018 ein Katalog im Verlag Moderner Kunst.
Nach dem Kunstverein am Rosa-Luxemburg-Platz e.V. in Berlin wird die Ausstellung den Spuren der Entstehung der „Logisch-philosophischen Abhandlung“ folgend im April 2018 in der Villa Rosenthal in Jena (19.04.2018 – 13.06.2018) und im Juni 2018 im Kunstraum pro arte in Hallein (22.06.2018 – 18.08.2018) gezeigt werden.
Die Ausstellung wurde durch die Unterstützung des Österreichischen Bundeskanzleramts ermöglicht.