Blinde Winkel

8.7.—8.8.2020

mit Arbeiten von Miia Autio, CargoCult, Jürgen Eisenacher, Florian Göttke, Susanne Keichel, Mahony, Su-Ran Sichling, Penny Siopis

8.7.–8.8.2020
Eröffnung: 7.7.20 17–22 Uhr

Zeitgleich eröffnet Wallwork #30
von Miia Autio (bis 31.8.).

Sprechstunden mit den Kuratorinnen Dr. Julia Wirxel und Su-Ran Sichling am Sa 25.7.20 und Sa 8.8.20 jeweils 14-17 Uhr

Bitte tragen Sie bei allen Anlässen eine Maske und nutzen Sie den ganzen Abend, denn die Personenzahl ist aufgrund der jeweils in Kraft befindlichen Pandemieregeln begrenzt.

Performance: 8.8.20 8pm M8 tram station Rosa Luxemburg Platz
taking place in the window front of Kunstverein am Rosa-Luxemburg-Platz—sound will be transmitted via an app:

WISH _The skin of the system _a halo spell
de monster action of methods and constant labor
Emma Waltraud Howes in collaboration with CargoCult
team up as GIANTS
and as part of  Blinde Winkel

Zur Ausstellung erscheint eine Edition von Su-Ran Sichling.

Gerätschaften gegen ein konkretes Defizit des toten Winkels werden zumindest für LKW-Fahrer entwickelt und bald verpflichtend eingesetzt. Wie schön wäre es, wenn wir uns diese auch implementieren könnten. Oder nicht? Ein Vergessen erlebt ontologisch jeder und jede im Laufe des Alltags und Lebens – dies kann erleichternd wirken und sogar überlebenswichtig sein. Daneben existiert aber auch das bewusste Ausblenden des zu Erinnernden.

Die von Julia Wirxel und Su-Ran Sichling kuratierte Ausstellung „Blinde Winkel“ widmet sich den Prozessen und Phänomenen, die übersehen und nicht hinterfragt werden. Der thematische Bogen spannt sich von Post-/Kolonialismus über spezifisch deutsch-deutsche-Geschichte bis hin zu Rassismen verschiedenster Form. Der Blick der beiden Kuratorinnen Julia Wirxel und Su-Ran Sichling ist ein politischer, indem sie künstlerische Arbeiten und Positionen ausgewählt haben, die tote Winkel und blinde Flecken dezidiert in den Blick nehmen und Übersehenes zeigen. Die Ausstellung eröffnet in einem Moment in dem überall in Deutschland aber auch weltweit reaktionäre Kräfte an Fahrt gewinnen. Dagegen möchte die Gruppenausstellung mit weniger lauten, aber dafür differenzierten Positionen für die möglicherweise dahinter liegenden Mechanismen sensibilisieren. Die einzelnen Kunstwerke schlagen zumeist leise Töne an und vermeiden offensichtliche Botschaften. Einige der Arbeiten widmen sich beispielsweise dem gewohnten Narrativen kultureller Identität, andere analysieren die Hintergründe institutionellen Vergessens.

Immer wieder entwickeln sich in kollektiven Gedächtnissen blinde Flecken und tote Winkel. Das gilt auch für die Geschichtsschreibung, die durch hegemoniale Narrationen konstruiert und „wahr“ wird: Durch die Bagatellisierung seiner kolonialen Rolle verdrängt beispielsweise Deutschland seine Kolonien weitgehend aus dem nationalen Gedächtnis, was in den Arbeiten von Florian Göttke, Mahony, Jürgen Eisenacher thematisiert wird. Auch das jeweils verklärende oder dämonisierende Erinnern an die DDR beruht nur auf den ersten Blick auf einer durchgängigen historischen Faktizität: Auch hier haben sich historische „Meistererzählungen“ durchgesetzt, die das kulturelle Gedächtnis prägen und alternative Deutungsversuche überlagert haben. Bezeichnenderweise setzt sich diese Haltung und das daran geknüpfte, absichtliche „Vergessen“ bis in die Gegenwart fort, beispielsweise in den NSU-Prozessen. Welche Rolle Justiz und Bürokratie spielen, wie strukturell bewusst und unbewusst Hautfarbe, Herkunft bewertet wird und rassistische Vergehen geahndet werden, zeigen Miia Autio, Penny Siopys, Su-Ran Sichling und Susanne Keichel.

Wenn das Nicht-Sichtbare der Ausgangspunkt für weitere Überlegungen sein kann, dann ist das Abwesende Dreh- und Angelpunkt einer Kehre im Denken: Unser Bewusstsein erwacht, wenn wir mit einer Erfahrung konfrontiert werden, die unseren Gewohnheiten und Erfahrungen widerspricht. Erst von diesen a-perspektivischen Ab-Orten aus beobachtet, werden die unsichtbar herrschenden „Normalitäten“ oder sozialen Hegemonien sichtbar. Die Künstlerinnen und Künstler bohren tief und zwingen den Betrachter unliebsame „Wahrheiten“ anzusehen. Das Immaterielle und Absente wird in der Ausstellung zum Materiellen. Kontinuierlich untersuchen sie in intensiver Auseinandersetzung und Recherche blinde Flecken und tote Winkel. Neben ihnen streben kritische Individuen, Wissenschaftler*innen und Intellektuelle danach, singulärem und gesellschaftspolitischem Vergessen, Verdrängen und Verleugnen entgegenzuwirken.

Miia Autio, Miss Albino

The exhibition “Blind Angles” is devoted to processes and phenomena that tend to be overlooked and mostly remain unquestioned. This means to analyse processes that are intentionally or unintentionally repressed. The two curators Julia Wirxel and Su-Ran Sichling take up a political attitude by choosing works of art that decidedly show dead angles and blind spots. The topics presented range from post / colonialism, specific German or GDR history, and diverse racisms to unquestioned botanical designations and their historical contexts.

The collective memory is construed by hegemonial narrations and thus is conceived as „true“. Contrary to this, the works of art mostly strike soft tones and avoid overly obvious messages. Therefore you will see conceptual works of art that, for example, analyse and undermine  first impressions and can be assembled  anew by the viewers.